Im Jahre 1559 trat Kurfürst Friedrich III. - nicht der berühmte, der sich wütend im Bette wälzte, - sein Regierungsamt über die damals recht bedeutende Pfalz an. Sein Vorgänger im Amt hatte nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 lutherische Theologen ins Land geholt, war jedoch mit der Einführung der Reformation nicht vorangekommen.
Friedrich III. war streng katholisch erzogen, seine Frau, eine Brandenburger Markgrafentochter, war evangelisch. Sie regte ihren Mann zum Bibellesen an, was der zunächst brav und dann eifrig tat. Sehr bald sah er sich der Aufgabe gegenüber, für sein Land die Richtlinien des Glaubens zu bestimmen. Das Land war zerstritten und die Bevölkerung verwirrt, weil sein Vorgänger die Reformation nicht flächendeckend eingeführt hatte. Um Klarheit zu schaffen, berief Friedrich III. eine Reihe namhafter Professoren an die Heidelberger Universität, darunter zwei junge Theologen: Den aus Breslau stammenden Zacharias Ursin, ganze 28 Jahre alt, der in Wittenberg bei Melanchton und bei Calvin in Genf studiert hatte. Und Caspar Olevian aus Trier, gerade mal 26 Jahre alt, Freund eines Sohnes Friedrichs III. und Schüler Calvins. 1561 traten beide ihre Lehrtätigkeit in Heidelberg an, Olevian war gleichzeitig Hofprediger.
1562 begannen die beiden im Auftrag ihres Kurfürsten mit der Arbeit an einer "festen Grundlage biblischer Glaubenserkenntnis", zogen dabei den Zürcher und den Emdener Katechismus ebenso zu Rate wie den Londoner und den Genfer. Oft nahm Friedrich III. an den Besprechungen teil, stellte hilfreiche Fragen und verzichtete auf landesherrliche Anweisungen.
Über die Gliederung war man sich bald einig: Ein erstes Kapitel sollte von der Gottesferne des Menschen handeln und davon, dass ein Leben ohne Schuld nicht möglich ist, kurz: Von des Menschen Elend. Dann sollte von der Versöhnung mit Gott durch Jesus Christus die Rede sein und davon, dass der Mensch trotz und mit seiner Schuld leben kann und darf, von der Erlösung also. In einem dritten und letzten Kapitel schließlich sollten die Menschen dazu aufgefordert und daran erinnert werden, in Gedanken, Worten und Werken für ihre Erlösung aus dem Elend in Dankbarkeit zu leben.
In der ersten Frage, quasi dem Vorwort, fassen die drei Autoren den ganzen Katechismus zusammen:
Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?
Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre. Er hat mit seinem teuren Blut für alle meine Sünden vollkommen bezahlt und mich aus aller Gewalt des Teufels erlöst.
Und er bewahrt mich so, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Haupt fallen kann, ja, dass mir alles zu meiner Seligkeit dienen muss.
Darum macht er mich auch durch seinen heiligen Geist des ewigen Lebens gewiss und von Herzen willig und bereit, forthin ihm zu leben.
Die Frage erinnert an Trostlosigkeit, an Verlassenheit in der Gottesferne – wobei "Trost" damals eher "Zuversicht, Vertrauen" bedeutete; die Antwort erinnert in ihrem ersten Teil an das dem einzelnen Menschen unmittelbar und bedingungslos geltende Erlösungswerk Christi, das weder von Sakramenten, kirchlichen "Gnadenmitteln" noch guten Werken abhängt, und an Erlösungsgewißheit, die aus dem Erlösungswerk folgt; der letzte Abschnitt erinnert an die geistgewirkte Willigkeit und Bereitschaft zu Gott gefälligem Leben.
Zudem ist die Antwort trinitarisch aufgebaut, wenn auch in der etwas ungewöhnlichen Reihenfolge: Christus, der Erlöser – Gott Vater, der Bewahrer – der Heilige Geist als Beistand.
Die Antwort auf die folgende Frage nach dem, was zu wissen nötig ist, um in diesem Trost leben und sterben zu können, stellt eine Art Inhaltsverzeichnis dar, nämlich: "Erstlich, wie groß meine Sünde und Elend sei; zum anderen, wie ich von allen meinen Sünden und Elend erlöst werde; und zum dritten, wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein."
Die folgenden 127 Fragen und Antworten führen diese drei Themen dann näher aus. Jede der Antworten ist mit Verweisen auf Texte des alten wie des neuen Testaments untermauert - wobei heute zu berücksichtigen ist, dass unser Denken sich - etwa durch die Aufklärung, aber auch durch theologische Forschung - seit damals erheblich geändert hat.
Teil eins, von des Menschen Elend, beschreibt eine Anthropologie: An dem Doppelgebot, Gott und den Nächsten wie sich selbst zu lieben, erkennt der Mensch, dass er von Natur aus dazu nicht in der Lage ist und folglich für "angeborene und wirkliche Sünden" Strafe verdient, wie Gott sie in seiner Gerechtigkeit fordert.
Ab der zwölften Frage geht es dann um Christologie bzw. Soteriologie. Zunächst wird festgestellt, dass Gottes Gerechtigkeit "Bezahlung" verlangt, der Mensch aber weder für sich selbst noch für andere ein hinreichend großes Bußgeld bezahlen kann. Deshalb bedarf es (Frage15) als Mittlers und Erlösers eines "wahren und gerechten Menschen, der zugleich wahrer Gott" ist - Jesus Christus. Nach einem Versuch, "Glauben" zu definieren (Frage 21), folgt in den Fragen 23 bis 64 das Apostolikum mit ausführlicher Erklärung, woran die Sakramente Taufe und Abendmahl anschließen. Sakramente sind als "sichtbare Wahrzeichen und Siegel" der geschehenen Erlösung definiert, woran sie "erinnern und (derer sie) vergewissern." Die Taufe wird mit dem Taufbefehl Mt 25 begründet, die Kindertaufe ausdrücklich bejaht. Zum Abendmahl werden die Einsetzungsworte nach 1.Kor 11 zitiert und nicht die nach Mt 26, die – als einzige von vier Versionen - das Abendmahl mit Sündenvergebung verbinden: Nicht im oder durch das Abendmahl werden Sünden vergeben, sonder sie sind bereits durch den Opfertod Christi vergeben (Frage 80). Deshalb kennen die Reformierten übrigens auch keine "Nottaufe."
Die Mitgliederversammlung des Reformierten Bundes hat vor etlichen Jahren einen das katholische Abendmahlsverständnis verurteilenden Passus aus der Antwort auf Frage 80 gestrichen – der HK ist immerhin unsere wichtigste reformierte Bekenntnisschrift. Solche aber sind grundsätzlich revidierbar, was auch eine Besonderheit der Reformierten ist. Die Streichung dieses Passus bedeutet, dass wir inzwischen das katholische Abendmahlsverständnis als ein mögliches anerkennen – und umgekehrt Entsprechendes erwarten.
Auf Taufe und Abendmahl folgen Fragen und Antworten zum "Amt der Schlüssel," u. a. mit Mt 16, 19 (Petrus) begründet, doch wenn von einem "Amt" die Rede ist, handelt es sich um Aufgaben der Gemeinde: Ihre Aufgabe bzw. die ihres Leitungskollegiums ist es, Menschen, die "unter dem christlichen Namen unchristliche Lehre oder Wandel führen," geschwisterlich zu vermahnen, gegebenenfalls von den Sakramenten und auch aus der Gemeinde auszuschließen und sie auch wieder anzunehmen, wenn sie "wahre Besserung verheißen."
Nun folgt Teil drei, von der Dankbarkeit, Ethik also. Da geht es zunächst um gute Werke, die nötig sind, weil sie 1. Zeichen der Dankbarkeit für die Erlösung aus dem Elend sind, 2. den Menschen seines Erlöstseins vergewissern, und 3. ein probates Mittel zur Mission darstellen (Frage 86). Die Frage nach "wahrer Buße oder Bekehrung" (= Umkehr) schließt sich an; diese Umkehr besteht in Lust und Liebe, und zwar in "Lust und Liebe, nach dem Willen Gottes in allen guten Werken zu leben." Gute Werke aber bestehen im Halten der Gebote Gottes in ihrer biblischen Zehnzahl, zu der auch das Verbot der Bilderverehrung gehört, und die erklärt werden. Auch das Beten ist Dankbarkeit, und so schließt der HK mit Fragen und Antworten zum Unser-Vater, endet also mit einem "Amen."
Im späten Herbst 1562 lud Kurfürst Friedrich von der Pfalz alle Superintendenten und bedeutenden Kirchendiener – so nannten sich die reformierten Pastoren damals, und "Kirche" meint "Gemeinde" – nach Heidelberg ein, um den Entwurf ausführlich zu diskutieren. Am 19. Januar 1563 unterschrieb der Kurfürst sein persönliches Vorwort, dann ging der Heidelberger Katechismus in Druck und verbreitete sich schnell.
1566 wurde Friedrich III. beim Kaiser angeklagt, gegen die Augsburger Konfession verstoßen zu haben. Er wurde nach Worms vor den Reichstag zitiert. Der Kaiser verlangte unter Androhung strengster Strafen, dass der Kurfürst seine Reformation zurücknähme und den Heidelberger Katechismus einstampfen ließe. Friedrich III. stellte fest, dass es für ihn nur einen Herren aller Herren, einen König aller Königreich gäbe, dem er gehorche: Jesus Christus. Außerdem sei sein Katechismus unumstößlich, weil biblisch begründet. Da stand er nun und konnte nicht anders...
Und der Reichstag konnte nicht anders, als das zu respektieren – sicherlich auch deshalb, weil Friedrich III. ein Kurfürst und nicht irgend ein Mönchlein aus Erfurt war. Der Kurfürst jedenfalls wurde nicht mit Acht und Bann belegt, sondern konnte seine Reformation fortsetzen – was kann man auch gegen biblisch begründete Aussagen einwenden!
Der Heidelberger Katechismus war bald europaweit verbreitet, 1619 wurde er auf der europäischen reformierten Synode zu Dordrecht zur Bekenntnisschrift erklärt, und auch heute gibt er den weltweit 105 Millionen reformierten Christen Mut und Zuversicht im Leben und im Sterben. Denn als Erlöste brauchen wir nichts und niemanden zu fürchten, und weil wir einen Herren haben, Jesus Christus, kennen wir keinen Menschen, der über uns stünde. Hat nicht Jesus sinngemäß gedroht: Wer unter euch groß sein will, der soll klein gemacht werden?!
Weiterführende Literatur