In den nomadischen und bäuerlich geprägten Kulturen aber auch in der frühindustriellen Zeit war die Ehe eine Art Lebensversicherung für die Frauen und für den Erhalt der Sippe bzw. des Volkes ebenfalls dienlich. Außerdem konnten Seuchen und andere ansteckende Krankheiten im Zaum gehalten werden. Die Ehe in ihrer damaligen Form war entsprechend ökonomisch angelgt und relativ vorteilhaft für beide Seiten. Die Ansprüche an persönliches Glück waren eher bescheiden, romantische Liebe war ein Luxus, die Sexualität einerseits zweckbestimmt und anderseits weitgehend männlich dominiert.
Kaum etwas hat davon heute noch Bestand. In einer von Dienstleistung geprägten Ökonomie haben Frauen die zwar immer noch eingeschränkte, aber unabhängige Möglichkeit, ihre Existenz zu sichern. Gesundheitliche Gefahren drohen zwar noch, können aber abgewendet werden. Dafür wird unser heutiges Bild von der Ehe durch die romantische Liebe bestimmt. Die diesbezüglichen Ansprüche sind zwar bei Frauen und Männern angeblich unterschiedlich ausgeprägt, aber grundsätzlich gleichberechtigt. Auch in der Sexualität hat die Gleichberechtigung Einzug gehalten - auch wenn es hier sicher noch eine große Grauzone gibt.
Dass Kinder nur in einer "funktionierenden Familie" - also in Verbindung mit einer harmonischen Ehe - glücklich werden und sich gesund entwickeln können, ist ebenfalls ein Mythos, der durch zahlreiche positive wie negative Beispiele widerlegt werden kann. Kinder brauchen Zuwendung, sie brauchen Vorbilder (auch, um sich daran abzuarbeiten) und sie brauchen Harmonie, die eine gesunde Streitkultur einschließt. All das bekommen sie in vielen angeblich funktioierenden Familienstrukturen weniger als in manchen Patchwork-Familien. Erziehung kann nämlich auch da gelingen, wo mehr als zwei beteiligt sind, es kommt nur darauf an, dass sich alle ihrer Verantwortung bewusst sind.
Aber dies soll eigentlich gar kein Plädoyer gegen die Ehe und die Familie sein. Diese Lebensform hat eine lange Tradition, hat sich verändert und den Gegegebenheiten angepasst und ist - richtig verstanden - eine sinnvolle Möglichkeit des Zusammenlebens. Auch eine, die es wert ist, von Gott gesegnet zu werden. Aber sind das nicht andere Lebensformen auch?
Die Ehe, wie wir sie heute erklären, praktizieren und kirchlich begleiten, ist eine menschliche Satzung. Sie folgt aber einem Auftrag Gottes an uns, nämlich, dass wir Verantwortung füreinander übernehmen. Das ist das Motiv, das sich durch die Eheverständnisse der Jahrhunderte zieht und die sich auch in allen biblischen Bezügen auf die Ehe wiederfinden lässt. Auf diese Verantwortung zu pochen, ist demnach auch die Aufgabe der Kirche. Alles, was lediglich dem Erhalt der Institution Ehe dient, hat aber außen vor zu bleiben.
Am Begriff der "Treue" lässt sich das gut klarmachen: Viele meinen treu zu sein, weil sie es sich verkneifen, mit Anderen anzubandeln. Davon hat die Partnerin bzw. der Partner aber relativ wenig. Und treu zu sein, meint doch eigentlich auch viel mehr, nämlich handfeste Qualitäten, die dem Partner bzw. der Partnerin tatsächlich auch etwas bringen: Offenheit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Anerkennung, Wertschätzung, Achtung der Verletzlichkeit, Respekt.
Warum sollte Gott etwas dagegen haben, dass sich zwei Menschen wieder trennen, wenn ihnen dazu die Kraft verloren gegangen ist? Warum müssen sich Menschen in der Kirche ihrer gescheiterten Ehe wegen schämen anstatt mit ihrer Pfarrerin oder ihrem Pfarrer offen über das Scheitern zu sprechen? (Oft geschieht das ja längst, aber oft eben auch nicht.) Und was sollte Gott dagegen haben, dass sich Menschen gleichen Geschlechts zu einer Lebensgemeinschaft zusammenschließen? Warum sollte er die nicht segnen?