adieu
Aus Schwaben, wo ich zuerst studiert hatte, war mir Ade! als Gruss zum Abschied geläufig; in der Schweiz, wo ich dann studierte, lernte ich À Dieu! verstehen, weniger als Abschiedsgruss und mehr als Anbefehlung. Da verstand ich plötzlich das Gott befohlen! meiner Grossmutter, wenn ich mal wieder zum Studium davonfuhr.
Wie schön, wenn einem für die Reise ein Begleiter gewünscht wird, und umso schöner, wenn er Macht hat, Gefahren und Ungemach zu wehren, am schönsten aber zu wissen, dass der als Dieu Angerufene menschliches Alleinsein und Einsamkeit, Verlassenwerden und Ausgeliefertsein so erfahren hat, wie es jedem geschehen kann, ja, es ausgehalten und überstanden hat, damit keiner, der zu ihm hält, darin vergehe. Fortgehen kann auch Untergehen bedeuten, und sei es nur, vergessen zu werden, aus den Augen aus dem Sinn.
Wer öfters umzieht im Leben, wer berufliche Abbrüche und familiäres Scheitern erlebt, wen die Hinfälligkeit seines Körpers vor Abgründe stellt, wem Hoffnungen auf Beziehung oder auch nur Freundschaft verdunsten, sollte sich eigentlich auskennen mit Abschieden. Abgebrüht und ausgehärtet sollte er sein, mit allen Wassern gewaschen, gestählt. Ich bin es nicht. Jeder neue Abschied nimmt mich mit. Es ist dann, als ob alle bereits erlebten Abschiede plötzlich wieder hervorkämen aus den Nebeln des Vergessens. Nein, ich bin kein Profi im Abschiednehmen. Ob es solche überhaupt gibt, bezweifle ich auch.
Das ist wohl auch gut so. Das erste Sprichwort biblischer Weisheit findet sich nicht umsonst dort, wo erstmals ein Paar zueinander findet: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist. (Gen 2,18) Dahinter steht dieselbe Erfahrung wie hinter dem Wunsch À Dieu! Es ist nicht gut, dass der Mensch allein unterwegs ist.
Naturnah lebende Völker wissen das: Sie gehen nie allein auf die Jagd, streifen nie allein durch die Wildnis, durchleben Rituale der Aussendung und Rückkehr. Postmodern lebende Stadtbewohner in Städten des Südens wissen es auch: Man zieht nicht allein durch unbekannte barrios, fährt nicht ohne Abklärung über Land, meidet rechtlose Quartiere der Entwurzelten.
À Dieu! kann mehr sein als eine Formel. Sie wünscht einen Gefährten in einer Welt der Gefahren. Ich brauche sie und verwende sie. Auch jetzt: Danke fürs Lesen meiner zwischenzeitlichen Bemerkungen zu Wörtern, die gerade im Schwange sind. Danke für Nachsicht und Vergebung, wenn sie Ihnen zu scharf waren; danke für Freude und Angeregtsein, wenn sie Ihre Ohren gespitzt haben. Hier enden nach zwei Jahren meine Wortklaubereien.
Gott befohlen! À Dieu! Vayan con Dios! May God be with you! Ade!MK