Dr. Beate Sträter:
Für viele Menschen in der Gemeinde war das endlich mal die Gelegenheit, etwas davon umzusetzen, wozu wir durch unseren Glauben ja aufgerufen sind. Vieles im Bereich der Diakonie ist professionalisiert (was ja auch nötig ist) und verläuft im höchsten Masse organisiert. Dann sind wir in unseren Gemeinden natürlich sehr stark mit uns selbst beschäftigt, mit Strukturen, Finanzen, Bauen usw. Das macht das Engagement manchmal sehr mühselig. Die offensichtliche Not der Geflüchteten hat viele Menschen dazu gebracht, ihre eigenen Gaben wahrzunehmen und sie für andere einzusetzen. Wir haben auch gemerkt, in welchem Überfluss wir leben, wie viel wir besitzen, was wir nicht brauchen. Deshalb kann hier von Teilen noch gar nicht die Rede sein, eher von Weitergeben oder Austeilen von unserem Reichtum. Ich glaube auch, dass die meisten Menschen gerne etwas für andere tun, die meisten Menschen erleben sich selbst doch lieber von ihrer großzügigen und hilfsbereiten Seite, als eng und ichbezogen.
Weiter belebt hat viele Gemeinden sicher auch, dass Menschen dazugekommen sind, die bisher eher am Rande der Kirchengemeinden oder in Distanz zur Kirche standen. Da kommen frischer Wind und neue Impulse, sicher auch manche Anfrage, aber ich glaube das tut uns gut.
Dass das Engagement nachlässt, nehme ich nicht unbedingt wahr. Denn wo Menschen dranbleiben, da entstehen ja auch Beziehungen. Aus der großen Gruppe der Flüchtlinge beginnt man nun einzelne wahrzunehmen, ihre Geschichte, ihre Kultur und Religion, ihre Individualität. Man muss vielleicht auch eigene Erwartungen und Vorstellungen korrigieren. Die Gruppe der Flüchtlinge ist sehr heterogen, was ihren ethnischen, sozialen, religiösen und kulturellen Hintergrund betrifft. Es ist ein Unterschied, ob es ein Akademiker aus der Stadt oder ein Analphabet vom Land ist. Manche wollen so schnell wie möglich Deutsch lernen und hier Fuß fassen, nehmen jedes Angebot wahr, andere verlassen kaum ihr Zimmer. Und die Gründe dafür kennen wir nicht. Und letztlich liegt die letzte Entscheidung darüber, was die Menschen hier machen wollen, – und wozu sie momentan in der Lage sind – bei ihnen selbst. Insgesamt ist das ein Lernprozess für alle.
Da gibt es einige Herauforderungen. Zum einen weiß niemand, auch nicht die Kommune, wie die weitere Entwicklung sein wird, wie viel Menschen noch kommen. Dadurch ist vieles nicht planbar. Die Frage ist natürlich auch, wie lange eine gute Begleitung möglich ist, wenn die Anzahl der Flüchtlinge in einem Stadtteil weiterwächst, was ja meist mit den Möglichkeiten dort vorhandener Unterbringungsmöglichkeiten zusammenhängt.
Was sich richtig schwierig gestaltet, ist die Koordination von Ehrenamtlichen. Mir kommt es so vor, dass eine Koordination nicht zu weit weg sein darf von der Arbeit vor Ort, aber trotzdem auch den Überblick behalten muss. Hierfür scheint mir auch eine stärkere organisatorische Einbindung Ehrenamtlicher in kommunale Strukturen hilfreich. Denn wenn die Arbeit nicht gut koordiniert wird, kann ehrenamtliches Engagement nicht dort ankommen, wo es gebraucht wird. Und es kann dann zu Frustration bei Ehrenamtlichen führen. Auch zu erkennen, was die Menschen jetzt als erstes brauchen, und was auch nicht, ist dabei wichtig.
Das wird es sicher haben, doch welche es sein werden, kann ich noch gar nicht beurteilen. Zum einen hat es direkte Auswirkungen, weil wir natürlich mit unseren muslimischen Partnern in Deutschland im Austausch über die Situation sind, und auch darüber, was ihre Möglichkeiten und Grenzen bei der Begleitung von Flüchtlingen sind. Da fühlen viele Moscheevereine sich überfordert und sind oft auch nicht in die Strukturen vor Ort eingebunden. Trotzdem wird auch dort viel Unterstützung geleistet.
Die Zuwanderung von so vielen muslimischen Menschen aus arabischen Ländern verschiebt natürlich die bisherige Zusammensetzung, bisher waren über 60% der Muslime in Deutschland türkischstämmig. Was sich ja auch in der Moscheenlandschaft widerspiegelt, das wird sich ändern. In welchem Umfang sich muslimische Flüchtlinge hier religiös binden und engagieren, kann ich allerdings bisher überhaupt nicht beurteilen.
Natürlich wird es mehr muslimische Kinder an unseren Schulen und in Kindergärten geben. Da ist es sehr wichtig, dass Lehrkräfte unterstützt werden, sich Wissen und Kompetenzen erwerben, um diese Situation als Chance interreligiösen Lernens nutzen zu können
Diese Befürchtungen habe ich auch mehrfach im Gespräch mit jüdischen Partnern gehört. Bisher ist mir aber kein Fall bekannt, bei dem ein Angriff auf eine Synagoge oder einzelne jüdische Menschen in Deutschland auf Flüchtlinge zurückgeht oder zugenommen hätte.
Beim Antisemitismus, wie er in der arabischen Welt verbreitet ist, werden und wurden ja Bilder und Vorstellungen aus Europa importiert. Eigentlich gibt es in vielen arabischen Ländern eine Tradition des Zusammenlebens mit jüdischen Gemeinschaften, die traditionell, wie die Christen auch, allerdings nicht gleichberechtigt waren. Mit der Gründung des Staates Israel ist diese lange Tradition abgebrochen. Ich hoffe eigentlich darauf, dass die Menschen, die hierherkommen, von politischen und religiösen Ideologien erst einmal genug haben und vorrangig mit anderen Dingen beschäftigt sind. Ob das allerdings so bleibt, auch wenn viele Menschen frustrierende Erfahrungen machen, kann ich nicht sagen.
Zum einen ist es wichtig, dass Vertreter der jüdischen und muslimischen Gemeinschaften in der Öffentlichkeit stärker als bisher deutlich machen, dass es hier in Deutschland keine Feindschaft zwischen den Religionsgemeinschaften gibt, wir hier mit gegenseitigem Respekt und Wertschätzung zusammenleben. Das zweite wäre, dass schnell auch im Bildungsbereich die Anstrengungen verstärkt werden, geschichtliches Wissen zu vermitteln und eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust zu befördern, die mit der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen verknüpft ist und die Relevanz für unser Zusammenleben heute herausstellt. Da gibt es mittlerweile sehr gute Ansätze einer modernen Holocaustdidaktik. Schulen und Lehrkräfte müssen unterstützt werden, sich fortzubilden und Projekte umsetzen zu können. Zugewanderte Schülerinnen und Schüler sind dabei keine Sondergruppe, und sollten auch nicht als solche behandelt werden.
Ich empfinde die gegenwärtige Situation als eine große Chance für unsere Gesellschaft. Ich freue mich darüber, dass unsere Gesellschaft bunter wird und ich finde es spannend, wie dies auch in unserem Alltag in Zukunft erfahrbar sein wird. Ich bin neugierig darauf, wie die Menschen, die jetzt zu uns kommen, sich in unsere Gesellschaft einbringen werden.
Die Art und Weise, wie rechtes Gedankengut salonfähig wird. Dabei sind es nicht nur diejenigen, die eh schon marginalisiert sind, sondern gerade auch in den sogenannten „guten“ Kreisen unsere Gesellschaft gibt es ein solides antidemokratisches, islamfeindliches, rassistisches und rechtsnationalistisches Denken in unterschiedlichen Spielarten. Die gegenwärtige Situation, der mediale Umgang mit Ereignissen wie Silvester in Köln, aber auch eine Partei wie die AfD tragen dazu bei, dass solche Auffassungen salonfähig werden. Früher hat man es nur gedacht oder im privaten Umfeld geäußert, jetzt kann all das öffentlich diskutiert werden.
Es macht für mich einen Unterscheid, ob jemand Leitungsämter übernimmt oder sich als Gemeindeglied einbringt. Ein Presbyterium stellt die Kirche auch nach außen dar und das geht für mich nicht mit jemandem, der solche Positionen vertritt und auch Entscheidungen über die Arbeit in der Gemeinde trifft. Von daher finde ich Bischof Dröges Position richtig.
Das andere ist, mit allen Menschen in unseren Gemeinden im Gespräch zu bleiben, sie auch mit ihren Ängsten und Vorbehalten ernst zunehmen und zuzuhören. Eine katholische Gemeinde in meiner Nachbarschaft hat in großer Leuchtschrift den Satz „Fürchtet euch nicht!“ auf ihr Kirchenportal montiert. Darin ist christliche Botschaft für mich angesichts der aktuellen Fragen gut ausgedrückt. Es gibt allerdings auch Grenzen, wo wir bestimmten Ansichten deutlich widersprechen und aufzeigen müssen, dass das mit unserem Glauben nicht vereinbar ist.
Bei uns in Bonn gibt es das, und in Köln natürlich auch. Das drückt auch das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis einer Stadtgesellschaft aus, in der Bürger sich beteiligen und sagen: Wir wollen uns unser Zusammenleben nicht kaputt machen lassen, wir gehören hier auch in aller Unterschiedlichkeit zusammen. Da wird ein Grundkonsens ausgedrückt, der die Voraussetzung für gelingende Aushandlungsprozesse ist. Ich finde das absolut wichtig, nötig und Mut machend.
22. Februar 2016