Die Sache mit dem Schaf

Predigt zu 2. Sam 12,1-14


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Von Stephan Schaar

“Was ist schon ein Schaf?!” Ja, Sie haben richtig gehört: Ich frage mich, warum ein Schaf so ein riesen Ding sein soll. Ich habe sooo viele davon - wenn ich da jedes einzelne zählen wollte... Aber gut: Es gibt auch Leute, die nur ein einziges besitzen. Arme Schweine, wenn Sie mich fragen. Aber Sie fragen mich ja gar nicht. Sondern Nathan hat es getan. Und ich bin voll in die Falle getappt. Nathan - sagt Ihnen nichts? Sie sind wohl nicht von hier, wie? Dann kennen Sie mich womöglich auch nicht. Das wäre zwar so eine Art Majestätsbeleidigung; aber darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an!

Na schön, ich stelle mich Ihnen vor, wie sich das gehört: Mein Name ist David. Ah, da klingelt es bei einigen, habe ich den Eindruck. Ganz recht: DER David bin ich - König in Israel. Vielleicht kennt der eine oder die andere die Geschichte von meinem frühen Heldentum, als ich, ohne Rüstung und Waffen, den Riesen Goliath zur Strecke brachte: Mit einer Steinschleuder! Da war ich noch fast ein Kind.

Aber es dauerte nicht lange, da kam Samuel zu uns ins Haus. Er sagte meinem Vater Isai, dass einer seiner Söhne dazu ausersehen sei, Nachfolger von König Saul zu werden. Der hatte es sich nämlich mit Gott verscherzt. Also ließ mein Vater meine Brüder einen nach dem anderen antreten, präsentierte sie voller Stolz. Aber jedes Mal hieß es: Nein, der ist es nicht. Mein Vater war ganz niedergeschlagen und wollte den Gottesmann schon nach Hause schicken; denn mich hatte er natürlich nicht auf dem Zettel: zu klein, zu jung.

Doch der Prophet bestand darauf, mich von der Viehherde weg in meines Vaters Haus zu holen, und kaum hatte er mich gesehen, rief er voller Freude: “Das ist er! Das ist der künftige König Israels. Gelobt sei der Herr!” Alle staunten, ich selbst vermutlich am meisten. Aber noch war ja Saul König. Gott hatte ihm zwar - wenn ich das so salopp ausdrücken darf - “gekündigt”; aber noch war er im Amt. So kam ich an den Hof und wurde zunächst so eine Art Hofnarr für den an Schwermut leidenden Saul. Der hatte manchmal seine problematischen 5 Minuten. Dann konnte es schon mal vorkommen, dass er einen Speer nach mir schleuderte. Und im nächsten Moment tat es ihm leid.

Ich tat, was ich konnte, um seine Laune zu bessern. Ich spielte Laute und sang Psalmen - die kennt Ihr womöglich auch. Aber es musste kommen, was unausweichlich war: Der um seinen Thron fürchtende Monarch trachtete mir schließlich nach dem Leben. Mir blieb kein anderer Ausweg, ich musste fliehen. Nur mit Mühe konnte ich ihn davon überzeugen, daß ich ihm nichts Übles antun will; im Gegensatz zu ihm.

Das ist alles Geschichte inzwischen. Saul ist tot, und ich bin König. Ich wurde gesalbt, ich wurde gekrönt, Gott hat mir seinen Beistand zugesagt. Soweit alles prima.

Aber dann passierte die Sache mit dem Schaf. Also das Schaf ist jetzt nur eine Metapher von Nathan, dem Propheten. Der kam zu mir und wollte wissen, was ich von jenem Mann halte, dessen Geschichte er mir dann erzählte. Die geht so: Jemand bekommt Besuch. Das ist, bei uns zumindest, eine hohe Verpflichtung: Was immer einem zu Gebote steht, ist dann zu tun, damit der Gast es komfortabel hat. Man wäscht ihm Hände und Füße, bietet ihm ein bequemes Lager an und bereitet ihm die besten Speisen zu.

Der ziemlich reiche Mann aus der Geschichte hatte zahlreiche Schafe. Aber er konnte sich nicht dazu entschließen, auch nur eines davon zu schlachten. Statt dessen nahm er seinem Nachbarn - einem armen Schlucker - dessen einziges Schaf weg und ließ daraus einen köstlichen Braten zubereiten. Nebenbei gesagt: Es heißt, der Typ mit dem einen Schaf hätte sein Haustier behandelt wie seine Kinder: Es aß von seinem Teller und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Bett. Ehrlich! So hat mir Nathan die Geschichte erzählt.

Klingt wie aus dem Märchen, meint ihr? Ich finde eher, es klingt verdächtig nach Sodomie. Aber lassen wir das, darum geht es nämlich nicht. Was ich dazu sage, als König und oberster Gerichtsherr im Land, dass dieser Geizhals dem Tierfreund sein Schaf geklaut und es am Spieß gebraten hat, war Nathans Frage. Da konnte ich mich natürlich nur empören und eine harte Strafe fordern: “Der Mann verdient es zu sterben”, rief ich, “und das Schaf muss er vierfach ersetzen!” Nathan war zufrieden. Er richtete seinen Blick auf mich und murmelte grollend: “Du bist der Mann.”

Ich war sprachlos. Mit Schafen hatte ich früher zu tun - als Junge, wie gesagt, war ich Hirte. Aber heute? Doch Nathan ließ mich nicht lange im Ungewissen. Er rief: “So spricht Gott: ‘Ich habe dich aus der Hand Sauls gerettet. Ich habe dich zum König über Israel gemacht. Du hast viele Frauen. Und wenn dir noch nicht gereicht hätte, was ich dir gegeben habe, dann hättest du auch noch mehr haben können. Aber was tust du? - Du nimmst deinem Nächsten seine Frau weg und hast dafür gesorgt, dass er im Krieg zu Tode kommt. Damit hast du Gott verspottet. Zur Strafe wird das Schwert nicht mehr von deinem Königshaus weichen! Mehr noch: Ich werde dir deine Frauen wegnehmen und dafür sorgen, dass sie in aller Öffentlichkeit mit anderen Männern Geschlechtsverkehr haben. Denn du hast es heimlich getan, aber das ganze Land soll davon erfahren.’”
Da blieb mir nichts übrig, als meine Sünde zu bekennen und Gnade zu erbitten.

Und überraschenderweise erklärte der Prophet umgehend das Todesurteil für aufgehoben: “Du musst nicht sterben, der Herr sieht über deine Sünde hinweg”, sagte er wörtlich. Dann aber folgte ein Satz, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ: “Aber der Sohn, der dir geboren wird, muss sterben.” Soweit, liebe Gemeinde, der Predigttext für den heutigen Sonntag in einem fiktiven Bericht des Protagonisten, König David.

Was nehmen wir daraus mit? Dass man weder den Nächsten bestiehlt noch in die Ehe des Nächsten einbricht, haben wir, denke ich, zur Genüge gehört - und entweder schon längst zu Herzen genommen, oder aber es dürfte wenig bringen, einmal mehr an das Gewissen zu appellieren, daß Gottes Gebote einzuhalten sind. Dass man sich womöglich leichter tut, die Fehler anderer klar zu benennen, als wenn man mit seinen eigenen Verfehlungen konfrontiert wird - Stichwort: Der Splitter im Auge des Nächsten und der Balken im eigenen Auge -; auch das ist nichts Neues, auch wenn es sein mag, dass es einen jedes Mal unangenehm berührt, wenn man sich überführt wähnt.

Was noch? Ich sehe drei Elemente, die mir wichtig erscheinen, auch wenn sie gleichfalls keine neue Entdeckung sind:

1. Nachdem David erst den Fremden verurteilt hat und dann erkennen muss, dass er selbst gemeint war, sucht er keine Ausflucht, sondern bekennt - spät genug - seine Verfehlung.
2. Dieses Eingeständnis rettet ihm womöglich das Leben, führt jedenfalls dazu, dass die bereits ausgesprochene Todesstrafe zurückgenommen wird.
3. Was uns Menschen der Moderne besonders ungerecht erscheint, dass nämlich statt dessen das mit der Frau des Hethiters Uria gezeugte Kind sterben soll, ist für die damaligen Leute ein wirklich harter Schlag. Sie können zwar angesichts einer hohen Säuglingssterblichkeit damit umgehen, dass viele Kinder sterben, ehe sie erwachsen geworden sind. Und doch ist es eine empfindliche Strafe, an Kinderlosigkeit zu leiden oder mit ansehen zu müssen, wie ein Kind stirbt. Denn ein Kind - so die Vorstellung im Alten Testament - ist die Zukunft. Wer stirbt, ohne Kinder zu hinterlassen, ist wie einer, der nie gelebt hat. Die hier eigenmächtig in die Hand genommene Zukunftsplanung - immerhin geht es um das Königshaus und das Wohl und Wehe des Volkes und Staates Israel - wird auf diese Weise zunichte gemacht.

Aber, liebe Gemeinde, niemand muss deswegen heute traurig nach Hause gehen. Denn die Zusagen, die Gott gegeben hat, bleiben bestehen, auch wenn ein Mensch sich verfehlt. Anstelle des Sohnes, der nicht geboren werden darf, zeugt David mit derselben Frau, mit Bathseba, einen weiteren Sohn, und eben dieser wird es sein - und nicht einer seiner fast zahllosen Halbbrüder -, der den Vater nach dessen Tod beerbt und, als letzter König über das ganze Land und Volk, Israel regieren darf.

Für uns Christen geht die Geschichte dieser Dynastie noch viel weiter: Zweimal 14 Generationen, zählt der Evangelist Matthäus im Stammbaum Jesu auf, dauert es, bis der “Davidsohn” Jesus von Maria, der Ehefrau des Joseph, geboren wird, um unter uns zu leben als Mensch unter Menschen und zugleich als Mensch gewordener Gottessohn, Messias,  verheißener Retter - der den verirrten Schafen nachgeht, auf dass kein einziges von ihnen verloren gehe.

Amen.


Stephan Schaar