Umsonst ist nicht nur der Tod!

Predigt zu Jesaja 55,1-5


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Da steht nun einer, der für seine Ware gar kein Geld haben will. Wie kommen wir an das heran, was er da anbietet? Unser Geld sollen wir stecken lassen. Kaufen können wir es nicht. Was sollen wir dann tun? Von Pfarrer Jochen Denker.

Wohlan, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Kommt her und kaauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Höret, so werdet ihr leben! Siehe, du wirst Heiden rufen, die du nicht kennst...

Ihr Lieben,

von nichts kommt nichts! Umsonst ist nur der Tod und der kostet das Leben. Mit diesen Weisheiten werden wir groß. Sie geben unsere Erfahrung wieder und wir geben sie an unsere Kinder weiter. Wenn es was umsonst gibt, dann ist Vorsicht angesagt. Vorsorglich noch mal das Kleingedruckte lesen, irgendwo muss ein Haken sein. Also Obacht - auch heute morgen, denn mit unserem Bibeltext beleben wir gerade einen aufgeregten Marktschreier, der seine Güter anpreist.

Lautstark schallt es über den Platz: "Wer Durst hat, komm her - hier ist Wasser! Wer kein Brot hat - hierher! Auch Wein und Milch, alles, was euer Herz begehrt: An diesem Stand sind Sie richtig, greifen Sie zu, zögern Sie nicht. Heute ist ein Festtag: Alles umsonst, kostenlos, geschenkt." Da kann man nicht mehr feilschen, der Preis ist nicht mehr zu drücken. Die Menge steht fassungslos und etwas ungläubig vor einem Verkäufer, der das ganze Marktsystem auf den Kopf stellt.

Um seinen Stand sammeln sich schnell viele Menschen. Mit seiner Werbung und Einladung hat er nicht nur die Durstigen und Hungrigen angelockt, sondern auch die, die meinten, ihr Durst sei schon gelöscht, ihr Hunger schon gestillt. An diesem Stand werden nicht nur Bedürfnisse befriedigt, sondern hier wird die vermeintlich vorhandene Befriedigung in Frage gestellt. "Was habt ihr eigentlich gerade an den anderen Ständen gekauft? Habt ihr euch nicht übers Ohr hauen lassen? Habt ihr vielleicht euer Geld zum Fenster raus geworfen und Steine statt Brot bekommen? Das sauer Verdiente habt ihr ausgegeben in der Hoffnung, von dem Gegenwert satt zu werden - aber schaut euch an, was ihr in euren Körben nach Hause tragt."

Ihr Lieben, was kann man für Geld bekommen? "Alles!" sagt man, denn alles hat seinen Preis. Und so scheint es zu sein. Auf dem Markt der Möglichkeiten wird allerhand feilgeboten. Sättigung, Sinngebung, Lebenserfüllung für Körper, Seele und Geist. Etwas Weisheit hier, etwas Philosophie da, ein wenig Körpererfahrung am Stand links vorn und für unsere mystischen Anteile ein Häppchen dort drüben. Die Intellektuellen hier ein wenig und die Bodenständigen dort. Wer Action braucht: Bitte da vorne in die Mitte, und wem ein wenig nach Zerstreuung ist, stelle sich da hinten rechts in die Schlange. Dann ist der Geldbeutel leer und schwer bepackt trotten wir nach Hause. Wie jeden Freitag nach unserem Marktbesuch. Und für einen Moment wollen wir vergessen, dass wir regelmäßig schon montags unzufrieden sind mit dem Einkauf, den wir gemacht haben. Die Qualität läßt nach, aber der Preis steigt. Und irgendwie ahnen wir, dass an dem ganzen Markt etwas faul ist, selbst dann, wenn wir wirklich gute Ware gekauft haben sollten.

Und da steht nun einer, der für seine Ware gar kein Geld haben will. Wie kommen wir an das heran, was er da anbietet? Unser Geld sollen wir stecken lassen. Kaufen können wir es nicht. Was sollen wir dann tun? "Hören!" Dreimal kommt das Wort "hören" wörtlich und einmal im Bild in kurzen Abständen vor. "Hört nur, hört auf mich, so bekommt ihr Gutes zu essen und eure Seele labt sich an Fettem. Richtete eure Ohren auf und kommt zu mir! Hört, so wird eure Seele leben." Hört! Damit fängt wohl alles an. Hört zu! Über 200x kommt das Wort "hören" als Aufforderung und Bitte im Alten Testament vor. So wichtig ist es.

Ihr Lieben, wenn unser Gott ein sprechender Gott ist, einer, der Kontakt aufnimmt mit uns, der ein Gespräch beginnt, dann ist es wirklich das Erste, was uns Not und gut tut: Hört! "Kauft nicht, versucht nicht zu bezahlen, lasst euer sauer verdientes Geld stecken. Für das, was hier zu haben ist, taugt es nichts. Hört! Das kann man auch, ohne reich zu sein: Hören!" Nicht von ungefähr beginnt Israels erstes Bekenntnis und vorrangiges Gebot mit: "Höre, Israel!" Nicht zufällig konnte Calvin seine "Bekehrung" so beschreiben: "Es war wie eine plötzlich Hinwendung zu lernbereiten Hören und hörbereitem Lernen". Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sagt Jesus und vor ihm Mose, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Munde unseres Gottes geht, von jedem Wort, das Gott spricht und das schafft und schenkt, was es sagt. Sein Wort ist kein hohles Gerede, kein wirkungsloses Geschwätz, keine Sonntagsrede, die den Montag nie erreicht. Sein Wort führt aus, wozu es gesendet, wirkt, was der Sprecher beschlossen hat - so haben wir in der Lesung gehört.

Es gibt Dinge, die wir nicht kaufen können, mit keinem Geld der Welt. Es gibt diese Dinge unter uns Menschen: Ich kann mir die Liebe eines anderen nicht erkaufen. Dass ein anderer zu mir hält, kann ich mir auf die Länge nicht kaufen. Ich kann mir Gesundheit nicht kaufen, selbst wenn mit Geld manches möglich ist. Ich kann mir Zufriedenheit nicht erkaufen und ein glückliches Leben schon gar nicht. Und nehmen wir ein ganz aktuelles Beispiel. Die Begeisterung und Freude nach dem gewonnenen Achtelfinale gestern. Die ist doch mit Geld weder zu bezahlen, noch gewollt zu kaufen. Und bei Gott ist das umso mehr so. Bei ihm können wir gar nichts kaufen.

Sein Wort können wir nicht einfach bestellen. Nirgendwo können wir etwas einwerfen und dann läuft ein Band ab und sein Wort ertönt. Seine Liebe zu uns ist geschenkt. Darum gilt sie jedem, ohne Bedingungen. Und wer versucht, sie zu bezahlen, den beschämt Gott und fragt: "Willst du den Tod meines Sohnes etwa mit schnödem Geld aufwiegen? Was bildest du dir eigentlich ein? Denk doch erst mal nach. Das, was ich für dich getan habe, kannst du nicht bezahlen. Versuch es nicht! Es tut mir weh! Würdest du dein Kind verkaufen? Nein, lass dich beschenken! Lass es gut sein."

Wenn ich auch nur einen kurzen Moment nachdenke, wird mir klar, dass es ein Irrsinn wäre, zu meinen, ich könnte Gott für das, was ich von ihm bekommen habe, etwas bezahlen. Wie verletzt bin ich selber, wenn ich jemandem etwas schenke, was mir wertvoll ist, meine Zeit, meine Liebe, vielleicht einen Gegenstand, der mir viel bedeutet und dann von meinem Gegenüber höre: "Was bekommst du denn dafür?" Ich merke dann, dass das Gegenüber gar nicht gemerkt hat, worauf es mir ankommt - nämlich auf ihn und nicht auf das, was ich bekommen könnte. Um wie viel mehr ist das bei Gott so! Nein, das Geld ist etwas für diese Welt. Mit ihm sollen und können wir eine Menge Gutes tun. Aber das wirklich Gute werden wir mit ihm nie bekommen. Keine Liebe, keine Freunde, keine Gnade und keinen barmherzigen Gott. Aber genau danach sehnen wir uns, gerade den brauchen wir je länger, je mehr.

Aber nun hören wir weiter - nicht nur dass Gott redet, sondern auch was er sagt. Bezahlen können wir nichts, aber hören können wir, das ist sozusagen der Preis: die Ohren aufrichten und spitzen, die Ohren nicht hängen lassen, weil dann mehr hängt als nur unsere Lauscher, dann hängt der ganze Kopf, der ganze Mensch. Gott sagt: "Ich will einen unverbrüchlichen Bund mit euch schließen und euch die beständigen Gnadengaben Davids geben."  Als der unbekannte Prophet diese Worte ausruft, sitzt Israel im Exil. Für das geschundenen und verzweifelte Volk sind das unglaubliche Worte. Sie widersprechen aller Wirklichkeit, sie gehen nicht auf in dem, was das Volk erlebt. Für die einen ist diese Kunde deshalb nicht nur unglaublich, sondern auch unglaubwürdig. Die Worte zerschellen an der harten Realität. "Gott will seinen Verheißungen treu sein? Was wir hier und jetzt erleben, spricht eine andere Sprache, und die Worte, die uns die Geschichte ins Ohr schreit, sind allemal lauter als dieses. Da kann der Marktschreier sich die Kehle aus dem Hals brüllen. Nein, was er ruft, ist nicht nur unglaublich, es ist unglaubwürdig."

Andere sind etwas vorsichtiger. Sie erwarten noch immer etwas von Gott und sei es im letzten Winkel ihre Seele. Sie sind keine besseren Menschen - allenfalls bessere Zuhörer. Sie hören weiter, wollen den status quo nicht das letzte Wort behalten lassen. Nur nicht resignieren, sich nicht einrichten in dem für alle unbefriedigenden Zustand. Auch wenn die Gewaltigen und Gewalttätigen gesiegt zu haben scheinen, wollen sie ihnen ein trotziges "Dennoch" entgegen rufen. Darum hören sie noch einen Augenblick weiter zu, denn noch ist ja gar nicht alles gesagt, noch haben sie und wir ja das berühmte Kleingedruckte - oder sagen wir in diesem Fall besser das Großgeschriebenen - gar nicht zu Gesicht und zu Ohren bekommen:

"Wie ich David für Völker zum Zeugen gemacht habe, zum Fürsten und Gebieter von Nationen, so wirst Du Völker rufen, die du nicht kennst und Heiden, die dich nicht kannten, werden zu dir laufen um des HERRN deines Gottes, um des Heiligen Israels willen, weil er dich verherrlicht." Also darauf läuft es hinaus: Nicht nur, dass die Durstigen und Hungrigen endlich genug zum Leben haben, sondern dass sie Zeuginnen und Zeugen Gottes in dieser Welt werden. Dass sie vor dem Forum der Welt, auf den Marktplätzen der Völker lebendige Zeugen, Werberinnen für die Treue des Gottes Israels werden.

Ihr Lieben, darauf will Gott hinaus. Dazu hat er Israel befreit und löst bis heute Menschen aus bedrängenden Klammern und Fesseln, die sie an erfülltem Leben hindern. Deshalb darf es keine Resignation und Trägheit geben - nicht, weil sie nicht allzu verständlich wäre, sondern weil wir damit Gottes Weg abbrechen würden, er plötzlich alleine weitergehen müsste. Gerade das will er nicht. Er will kein einsamer Gott sein, der nur für sich selber Zeugnis ablegt, kein Allherscher, der von oben via herrscherlichem Dekret über seine Geschöpfe entscheidet und sie gar nicht beteiligt an dem, was er mit ihnen vorhat. Nein, er will Zeuginnen und Zeugen in der Welt haben. Dazu erwählt er Menschen, dazu gibt er ihnen das Recht und macht sie sich recht, dazu beruft er sie.

Es ist schon im wahrsten Sinne des Wortes Not-wendend, dass wir hören, was Israel gerade in dem Augenblick gehört hat, als es die Brocken hinschmeißen wollte, als es an sich, an der Welt und vor allem an Gott verzweifelt war und dem Gang der Geschichte seine allmächtige Eigengesetzlichkeit zugestehen wollte. Wir wären heute morgen nicht hier, hätte das Wort dieses verschwenderischen Marktschreiers damals kein Gehör gefunden. Aller Gewalt der Geschichte zum Trotz kam es tatsächlich dazu, dass dieses kleine Volk Völkern und Nationen so attraktiv, so anziehend und einladend wurde, dass sie zu ihm gelaufen kamen. Das ganze Neue Testament erzählt von der Geschichte, wie Menschen aus allen Völkern über Jesus Christus zu Israel kommen. Wir sind en Teil dieser Geschichte. Wir kommen nehmen an Israels Geschichte Teil - weil uns sein Gott, der Gott Israels und Vater Jesu Christi angesprochen hat und wir ihm unser Vertrauen geschenkt haben.

Nun dürfen und sollen auch wir seine Zeuginnen und Zeugen sein. Das ist das Kleingedruckte oder besser Großgeschriebene, worauf der Verschwender auf dem Marktplatz hinaus will. "Kommt her. Zukunft und Hoffnung gibt es hier. Was keine Motte zerfressen und kein Rost zersetzen kann - ihr findet es hier. Ewige Treue, Gnade, Sinn und Aufgabe, was euch zu Menschen macht, die nicht nur fressen und saufen und morgen sind sie tot - ihr findet es bei diesem Gott. Ihr Lieben, wir kommen frisch von Pfingsten. "Ihr werdet den Heiligen Geist empfangen und so meine Zeuginnen und Zeugen sein bis an die Enden der Erde", hat Christus da verheißen und geboten. Wir haben einen Auftrag mit Christus in der Welt für die Welt von Gottes Wegen zu erzählen. Ein Auftrag, der uns zu etwas besonderem macht. Nicht das wir besser wären als die anderen Menschen - gerade wir wissen nur zu genau, dass es nicht so ist - aber Gott hat etwas besonderes mit uns vor.

Er gibt uns alles, was wir für diesen Auftrag brauchen mit: Hört! "Mein Wort ist eures Fußes Leuchte. Meine Gnade gilt euch und ich bin treu. Mein Geist ist ausgegossen auf alles Fleisch und ihr empfangt seine Kraft, um meine Zeuginnen und Zeugen zu sein." Keine und keiner ist da überflüssig, Du nicht und ich nicht. Ob alt oder jung, arm oder reich, gesund oder krank, eher in sich gekehrt oder eher forsch nach außen - alle haben wir einen Platz in der großen Mission Gottes. Die unterschiedlichsten Typen gebraucht Gott - nur keine Blindschleichen, keine Duckmäuser, keine Langweiler. Aber die können und werden wir auch nicht sein, wenn wir wirklich gehört haben und Gottes Geist uns begeistert hat.

Ihr Lieben, solange es die Gemeinde Jesu Christi gibt, gleich wie groß sie sein mag, ist die Welt durchsetzt und durchzogen von Zeugen der Wege Gottes. Weil wir gehört haben, darum reden wir, darum lassen wir der Welt nicht ihren Lauf, sondern halten ihr immer wieder entgegen, was Gott mit ihr vorhat. Darum unterstützen wir, was in seine Richtung geht und Gott schenke uns den Mut, das wir auch zu denen gehören, die sich dem Rad in die Speichen werfen, wenn er und seine Zukunft in der Welt verdunkelt und bis zur Unkenntlichkeit und Unglaubwürdigkeit verkehrt werden. In einer Zeit, in der die Kirche mehr und mehr danach sucht, wo sie denn in der Welt ihren Platz haben möge, in der sie sich überflüssig vorkommt, in der ihr von allen Seiten mal hier mal da eine kleine Nische zugewiesen wird, in der die Macht des Faktischen ihr den Mund verschließen und die Ohren verstopfen will, da kommt ein solches Wort wie unser Text gerade recht.

Lassen wir die Ohren nicht hängen und hören von dem großen Geschenk Gottes an uns, dann muss uns um uns selbst, unsere Kirche und die Welt bei aller Sorge niemals bange sein. Davon dürfen wir reden und davon dürfen wir leben.

Amen


Jochen Denker, Wuppertal-Ronsdorf