Ach, wie flüchtig, ach wie nichtig

Predigt zu am 1.8.2021 zu Matthäus 7, 24-27


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Von Gudrun Kuhn

Kohelet 2  (in Auswahl)

11[...] als ich alle meine Werke ansah, die meine Hände vollbracht hatten, und alles, was ich mit Mühe und Arbeit geschaffen hatte, siehe, da war alles nichtig und ein Greifen nach Wind, und es gab keinen Gewinn unter der Sonne.
12Da ging ich daran, Weisheit, Verblendung und Torheit zu betrachten.
[...]
13 [...] ich sah, dass die Weisheit mehr Gewinn bringt als die Torheit, wie das Licht mehr Gewinn bringt als die Dunkelheit.
14Der Weise hat Augen im Kopf, aber der Tor tappt im Dunkeln. Doch erkannte ich auch, dass ein und dasselbe Geschick beide treffen kann.
15So dachte ich: Wie dem Toren kann es auch mir ergehen. Wozu bin ich denn so weise geworden? Da dachte ich, dass auch dies nichtig war.
16Denn weder an den Weisen noch an den Toren wird man sich ewig erinnern: In den Tagen, die kommen, werden alle längst vergessen sein. Ach, der Weise muss sterben genau wie der Tor!
17Da hasste ich das Leben, denn übel erschien mir alles Tun unter der Sonne: Alles war nichtig und ein Greifen nach Wind.
18Und ich hasste alles, was ich mir mühevoll erarbeitet hatte unter der Sonne, denn dem Menschen, der nach mir kommt, muss ich es hinterlassen.
19Und wer weiß, ob es ein Weiser oder ein Tor sein wird?
[...]
22Was hat denn der Mensch von all seinem Mühen und Streben, davon dass er sich abmüht unter der Sonne?
23Sein Leben bringt ihm nur Leiden und seine Mühe Verdruss, und selbst bei Nacht kommt sein Herz nicht zur Ruhe. Auch das ist nichtig.
24Nichts Gutes bringt der Mensch selbst zustande: Dass er essen und trinken und sich etwas Gutes gönnen kann bei seiner Mühe, auch das kommt, so sah ich, aus Gottes Hand.
[...]
26Einem Menschen, der ihm gefällt, gibt er Weisheit und Einsicht und Freude. Den aber, dessen Leben verfehlt ist, lässt er sammeln und anhäufen, um es dann dem zu geben, der Gott gefällt. Auch das ist nichtig und ein Greifen nach Wind.


Predigt

Vom Hausbau, so ist unser heutiger Predigttext überschrieben. Und ich bin mir ganz sicher, keine und keiner der heute Predigenden hätte ihn freiwillig ausgewählt. Ich wäre ihm gerne ausgewichen. Aber bei der Suche nach einer Alternative wurde mir klar, dass ich nichts Passendes finde. Und dass ich vielleicht sowieso nichts zu sagen weiß.

Ich lese also den Predigttext für den heutigen 9. Sonntag nach Trinitatis. Er steht am Ende der Bergpredigt.

24 Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Menschen, der sein Haus auf Fels baute. 25Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde weh­­ten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. 26Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Menschen, der sein Haus auf Sand baute. 27Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde weh­ten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Diese Gleichnisrede ist ja geradezu zum Sprichwort ge­wor­den: Etwas auf Sand bauen, etwas in den Sand setzen … Doch: „Wer Gott dem Allerhöchsten traut, der hat auf keinen Sand gebaut.“ Wie Hohn klingt das diese Tage. Oder glauben Sie, dass es Christinnen und Christen gibt, die in der jetzigen Situation den Zeigefinger erheben? Die auf religiöse Weise in den Chor derer einstimmen, die sich in den Talkshows aufmanteln und klug daherreden, was alles falsch gelaufen ist. Tja, die alten Sirenen müssen wieder her. Und die Koordination der Hilfskräfte war ungenügend. Und auf den Wetterbericht hätte man hören sollen. Hätte, hätte, hätte ...

Nun wird wohl auch den allerverbohrtesten Leugnern des Klimawandels klar, dass die Wissenschaftler Recht hatten, die seit Jahren, nein Jahrzehnten gewarnt haben. Aber sollen die jetzt ihre Stimme erheben und wie beleidigte Propheten sprechen: Seht ihr, wir haben es euch oft genug verkündet, das ist die Konsequenz eures falschen Lebenswandels. Aber auf uns hört ja keiner ...

Ich kann und will in diese Rede nicht einstimmen. Obwohl ich überzeugt bin, dass der Klimawandel etwas mit der Ausbeutung des Planeten durch uns Menschen zu tun hat. Aber die Opfer der Unwetterkatastrophe, die ihre Toten beklagen müssen und vor den Trümmern ihrer Existenz stehen – sie sind doch nicht als Einzelne verantwortlich. Oder schuld. Sollen die jetzt zu den Törichten gezählt werden, die nicht klug genug waren, ihr Haus auf Fels zu bauen? Und zu ihrem Leid auch noch die Häme haben.

Nein, das Gleichnis passt so was wie gar nicht zu unserer Situation.
Ich weigere mich, von Schuld im individuellen Sinn zu reden, wenn es um politisches Ver­sagen vieler und um die allgemeine Gleichgültigkeit und Sorglosigkeit gegenüber der Zu­kunft geht. Auch und gerade, weil ich in der konkreten politischen Situation sehr wohl Ver­säum­nisse sehe. Auch an das Gleichnis vom Hausbau habe ich nicht gedacht in diesen Tagen.

Eine andere biblische Erzählung stand mit vor Augen. Und wahrscheinlich bin ich nicht die einzige, die bei den Katastrophenbildern daran gedacht hat: an die Sintflut. Ich mag diese Erzählung nicht. Und ich teile das Entsetzen der Kinder, die fragen, wieso denn die vielen, vielen Menschen und Tiere (vor allem die) alle sterben mussten. Die Rettung der Noah-Sippe macht mich den grausamen Untergang aller anderen nicht vergessen.
Erinnern Sie sich (Genesis 6)?

5Und [Gott] sah, dass die Bosheit des Menschen groß war auf Erden und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens allezeit nur böse war. 6Da reute es den Herrn, dass er den Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen. 7Und der Herr sprach: Ich will den Menschen, den ich geschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, den Menschen samt dem Vieh, den Kriechtieren und den Vögeln des Himmels, denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe. 8Noah aber hatte Gnade gefunden in den Augen des Herrn. 9Dies ist die Geschichte Noahs: Noah war ein gerechter Mann und vollkommen unter seinen Zeitgenossen; Noah lebte mit Gott.

Ich mag diese Erzählung nicht. Und ich mag diesen Gott nicht. Er erschafft Menschen, deren Sinnen und Trachten des Herzens allezeit nur böse war. Eine Fehlkonstruktion offensichtlich. Da kommt jede Reue zu spät. Der Macher Gott zerstört sein misslungenes Werk wieder. Eine solche Vorstellung kommt in der Bibel immer wieder vor. Der Schöpfer im Bild des Töpfers, der die Menschen aus Ton formt, kann seine Gefäße auch wieder zertrümmern, wie er es will.

Ja, das kann er. Das beweist er uns auf grausame Weise, wenn wir an diesem Gottesbild festhalten wollen. Und an dem entsprechenden Menschenbild. Abgrundtief böse sind wir. Wert, vertilgt zu werden vom Erdboden ...

Ich erlebe zur Zeit das Gegenteil. Die Hilfsbereitschaft der Menschen übersteigt alle Vor­stel­lun­gen. Freiwillige verzichten auf ihren Urlaub, machen sich ins Ungewisse auf, um sich bei den Aufräumarbeiten einzusetzen oder medizinische Unterstützung zu leisten. Heldinnen und Helden der Nächstenliebe leisten Außerordentliches. Und sie leisten es ganz selbst­ver­ständ­lich. Reiche und weniger Reiche, Firmen und Privatleute spenden Geld in Milliardenhöhe. Darum protestiere ich gegen den biblischen Text: Das Sinnen und Trachten der menschlichen Herzen ist nicht böse. Und schon gar nicht allezeit nur böse. (Und ja – es gibt Idioten, die Hilfskräfte beschimpfen und behindertn. Punkt)

Ich mag die Erzählung von der Sintflut nicht. Natürlich weiß ich – wie Sie auch – dass die biblischen Noah-Geschichten die altorientalischen Erzählungen von einer großen Flut mit Motiven aus verschiedenen Zeiten anreichern. Und dass die Gottesbilder darin unterschiedlich bis widersprüchlich sind. Aber wie soll ich mich einem Gott anvertrauen, den mir meine Tradition so willkürlich darstellt. Wo soll ich mich selbst verorten. Bei den Bösen? Oder bei den Gerechten, die vollkommen sind unter ihren Zeitgenossen. Das ganz sicher nicht. Freilich – meine Lebensarche hat bisher alle Stürme und Klippen überstanden. Aber soll ich nun dankbar sein, dass ich Gnade gefunden habe in den Augen des Herrn. Andere jdoch nicht ...

Keine Rede davon! Dass unsere Häuser in Erlangen und Nürnberg nicht auf Sand gebaut sind, dass uns keine Regenkatastrophe heimgesucht hat – das liegt nicht an uns. Und ich kann mich nicht an einer Gnade des Herrn erfreuen. Einer Gnade, die die einen bewahrt und die anderen vernichtet. Das wäre eine zynische Dankbarkeit. Und auch wenn ich mich nicht für grund­sätz­lich böse halte, trage ich die gleiche Verantwortung für Klimaveränderungen wie die meisten von uns. Wer könnte behaupten, dass er nicht verstrickt ist in die Bedingungen, unter denen wir leben. Und die wir nicht ernsthaft genug verändern. Wer gehört zu den Gerechten und Vollkommenen?

Ach so – Sie leben vegan. Dann haben Sie wahrscheinlich genug Geld für gute Speisen und genug Zeit, komplizierte abwechslungsreiche Menus zuzubereiten. Aber der Straßenarbeiter, der 8 Stunden und mehr körperlich arbeitet, wird leider zur Leberkässemmel aus dem Supermarkt greifen.
Sie fahren ein E-Auto. Lobenswert. Die Familie von nebenan kann sich dummerweise nur einen gebrauchten Diesel leisten. Sie haben ihr Haus nahezu energieneutral umgebaut. Schön für Sie. Sie müssen keine CO2-Bepreisung fürchten, um im Winter als Mieter nicht zu frieren.

Sie wählen die richtigen Politikerinnen und Politiker, sie sind nicht töricht, sie schauen sich jede Sendung von Lesch und Yogeshwar an. Immerhin haben Sie Abitur. Bewundernswert. Aber nicht alle haben die Muße und die intellektuellen Voraussetzungen, sich zu informieren. Sie werden Opfer von populistischen Halbwahrheiten oder Lügen.

Die Gerechten und die Böswilligen. Die Klugen und die Törichten. Was sollen wir mit solchen Vereinfachungen anfangen?
Und bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine nicht, dass man gegen die Erderwärmung ohnehin nichts tun kann. Dass wir den Klimawandel doch nicht aufhalten können. Das ist im Moment in gewissen chirstlichen Kreisen angesagt. Von Gelassenheit und Sein-Lassen ist da die Rede. Und von drohender Ökodiktatur. Und dass die Kirche aufhören soll, sich sozial­ethisch zu positionieren. Nein! Ich – ich verstehe mein Christsein auch im Sinne von politischer Verantwortung. Nur fällt es mir oft schwer, in meiner kirchlichen Tradition Antworten zu finden, die mich ermutigen und die mich nicht an Gott zweifeln und verzweifeln lassen.

Ich kann dem Gott der biblischen Noah-Geschichte nicht weiterhelfen, wenn er an der Menschheit keinen Gefallen mehr hat. Ich kann ihn nicht ernst nehmen, wenn er wie ein enttäuschter und beleidigter Handwerker reagiert, dem sein Werk misslungen ist. Wenn ich seine Gnade rühmen soll, muss ich auch seine Ungnade schmähen dürfen.

Und auch die Mahnung des Matthäusevangeliums kann ich nicht verinnerlichen. Was verspricht da Jesus dem, der seine Rede hört und tut? Der sein Haus klug auf einen Felsen baut? Der den Willen Seines Vaters im Himmel tut? (Matthäus 7,21) Eigentlich verspricht er nichts, vielmehr droht er: 13Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen. 14Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden! Und die den Weg zum Leben nicht finden, denen wird er bekennen: Ich habe euch noch nie gekannt; weicht von mir, ihr Übeltäter! (Matthäus 7,23)
Wieder diese Absonderung: Hier die vielen Verdammten. Und da die wenigen Gerechten.

Ach, wo kann ich denn heute ein wenig Trost hernehmen? Für mich. Und für Sie, die Sie nicht hergekommen sind, um Zweifel und Resignation zu erfahren. Vielleicht müssen wir einfach hinnehmen, dass auch die Verfasser der biblischen Schriften keine letztgültigen Antworten auf ihre Fragen gefunden haben. Dass sie sich in Widersprüche und Ungereimtheiten verirrt haben. Und dass ihre Vorstellungen von Gott Projektionen ihrer eigenen Wünsche waren.

Ich finde, wir sollten versuchen, den Teufelskreis der Schwarz-Weiß-Malerei zu durchbrechen. Man muss sich beim Hausbau nicht zwischen Sand und Fels entscheiden. Es gilt, den Platz dazwischen sicher oder sicherer zu machen. Man muss sich bei moralischen Entscheidungen nicht zwischen engem Weg und breiter Straße entscheiden. Es gilt, von Fall zu Fall die Folgen des Handelns zu bedenken.

Man muss die Welt nicht als vollkommene Schöpfung loben oder als menschenvernichtende Ka­tastrophe fürchten. Es gilt, unsere Abhängigkeit von der Natur zu akzeptieren, ihre Schön­heit und ihre gefährliche Unverfügbarkeit. Ich möchte den strafenden Gott nicht gegen den gnädigen setzen. Es ist zu wünschen, ein gläubiges Vertrauen zu finden, das weder über der menschlichen Unvollkommenheit resigniert noch auf ein wunderbares Eingreifen Gottes in die Naturgegebenheiten hofft.

Dann können wir aus Katastrophen mit der notwendigen Ernsthaftigkeit lernen, was wir für die Zukunft unbedingt ändern müssen.
Dann können wir dankbar erleben, wieviel Güte und Nächstenliebe in Menschen steckt.
Dann dürfen wir über das Leid der Opfer klagen, ohne Ursachen dafür zu vereinfachen.
Dann werden wir auch den Mut finden, immer wieder die Rede Jesu zu hören und zu tun.

Auch wenn die Weisungen nicht unmittelbar in die jeweilige konkrete Situation zu übertragen sind. Ist die Bergpredigt eine Utopie vom Leben im Reich Gottes. So soll es sein – so wird es sein? Ist die Bergpredigt ein Ideal, dem jeder Christ nach seinen Möglichkeiten nachstreben soll und kann? Ist die Bergpredigt eine Bußanleitung? Ein Katalog von Weisungen, der immer wieder vor Augen führt, dass die Menschen das Gute, das sie tun wollen, doch nicht tun können? Ist die Bergpredigt etwas für uns alle? Sie kennen das Resümee: 12Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Ge­setz und die Propheten.

Ein ganz einfacher und ein ganz schwieriger Satz zugleich. In ihm ist alles enthalten. Auch der Grundsatz, dass wir Vorsorge und Fürsorge tragen müssen für die Tiere und Pflanzen, die unserer Nahrung und unserer Freude dienen, dass wir Vorsorge und Fürsorge tragen müssen für die Welt, in der unsere Kinder und Enkel leben werden, dass wir Vorsorge und Fürsorge tragen müssen für die Menschen auf der Welt, die mehr noch unter den Folgen der Umweltzerstörung leiden als wir in Europa.

Ich glaube, dass uns Gott dafür geschaffen und dazu befähigt hat – trotz aller Unvoll­kom­men­heit. Und dass er uns nicht vernichten will.

Amen


Gudrun Kuhn