Angst vor der Freiheit?

Predigt zu Marc-Uwe Klings Roman ''Views''


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Von Stephan Schaar

Friede sei mit euch von dem, der da ist und der da war und der da kommt! AMEN.

Liebe Gemeinde, Jesus sagt: Die Wahrheit wird euch frei machen.

Aber ist uns die Freiheit tatsächlich ebenso viel wert wie die Sicherheit? Darüber lässt sich im Elfenbeinturm spekulieren; aber wenn es ernst wird, wenn das Leben bedroht ist, dann wollen wir doch wohl zunächst überleben, selbst wenn unsere Freiheit eingeschränkt wird.

Die Menschen in Russland wollen am Leben bleiben, deshalb halten sie die Klappe - genauso, wie unsere Vorfahren vor 80, 90 Jahren die “innere Emigration” wählten und nach außen hin weiter treue Volksgenossen waren und “Heil!” schrien, wenn es verlangt wurde, während sie (immerhin) innerlich grollten. Als meine Oma 1944 in Ostpreußen in einem Laden darauf hingewiesen wurde, dass man beim Eintreten nicht “Guten Tag!”, sondern “Heil Hitler” zu grüßen habe und sie erwiderte, dass einem das vergehe, wenn man Bombennächte in Berlin erlebt hat, stand sie mit einem Bein schon im KZ.

Die Wahrheit wird euch frei machen. Aber ist uns nicht auch die Bequemlichkeit wichtiger - die Bestellung beim Onlinehändler, die Fahrt mit dem eigenen Auto, der Flug ins Urlaubsparadies? Die Wahrheit über unseren Lebensstil ist doch, dass er keine Zukunft hat. In Wahrheit bedrohen uns Kriminelle unabhängig von ihrer Herkunft, während wir ohne zugewanderte Fachkräfte schon längst den Laden hätten dichtmachen müssen.

Wer gibt sich denn noch dafür her, Alten und Kranken den Arsch abzuwischen, wer macht sich krumm bei der Spargel- oder Gurkenernte? In welchen Sprachen unterhalten sich die Bauarbeiter, die Paketzusteller?

Die Wahrheit wird euch frei machen, sagt Jesus, und Paulus schreibt, dass wir zur Freiheit befreit sind. Aber wir haben Angst vor der Freiheit und scheuen die Wahrheit, sobald sie unangenehm ist. Machen wir jetzt aber mal die Gegenprobe: Macht uns die Unwahrheit unfrei?

Das spielt Marc-Uwe Kling in seinem Roman auf gespenstisch-spannende Weise durch. Zunächst ist man schockiert über dieses Video, das vier dunkelhäutige Männer zeigt, die eine 16-jährige Deutsche vergewaltigen. Schrecklich! Yasiras Chef im Bundeskriminalamt hält sich für clever, einer Kommissarin mit Migrationshintergrund einen derart delikaten Fall anzuvertrauen; schließlich soll niemand sagen können, die Ermittlungsbehörden seien auf dem rechten Auge blind oder von uneingestandenem Rassismus getrieben.

Doch dann kommen erste Fragen auf: Wer hat das überhaupt gefilmt, und wer hat die Aufnahme ins Netz gestellt? Das kann doch wohl kaum ein Komplize gewesen sein, ein Afrikaner, der Asyl sucht womöglich - denn die werden ja aufgrund des Videos zu Hassobjekten! Und was ist mit diesem verschwundenen Mädchen?

Ist sie eine Streunerin, die es nicht länger erträgt, mit ihrem in Trauer erstarrten Vater unter einem Dach zu leben? Nach Aussage ihrer vormals besten Freundin zog es sie in letzter Zeit zu einem erheblich älteren Freund hin, der mit Drogen handelt und offenbar selbst Drogenprobleme hat. War er der Täter?

Was ist mit dem Kleid in ihrem Schrank, das mit jenem auf der Videoaufnahme identisch ist? Kann es sein, dass der “Heimatschutz” ein gefälschtes Video in Umlauf gebracht hat, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren? Jedenfalls wird weder Lena oder ihre Leiche jemals gefunden noch der vermeintliche Tatort, und auch die Täter sind nicht zu identifizieren. Aber kann uns Künstliche Intelligenz mittlerweile so perfekt täuschen?

Ja, die Unwahrheit macht uns unfrei, versetzt uns in Angst und Schrecken. Mich macht es fertig, wenn Alu-Hut tragende Prepper allen Ernstes für möglich halten, dass reptiloide Außerirdische unsere Regierung ersetzt haben und nun das Volk austauschen wollen.

Ich kann es nicht fassen, dass es Leute gibt, die den offiziellen Medien grundsätzlich misstrauen, aber jeden noch so abstrusen Scheiß für bare Münze nehmen, wenn er nur in ihrer Filterblase gepostet worden ist. Ich bin entsetzt, wenn Menschen ihr Denkvermögen an irgendeiner Garderobe abgeben und auf perfide Propaganda hereinfallen, mit der Autokraten unser demokratisches Gemeinwesen aushöhlen.

Wo soll es noch hinführen, wenn wir kein Handwerkszeug besitzen, um Lüge von Wahrheit zu unterscheiden?

Hatten wir nicht schon mal einen angeblichen Vergewaltigungsfall in Berlin? - Damals ging es um eine 13-jährige Russin. Es gab diplomatische Verwicklungen. Schließlich gab das Mädel zu, gelogen zu haben.

Das bedeutet jedoch beileibe nicht, dass wir nun keiner Frau mehr glauben dürften, dass ihr Gewalt angetan worden ist, nur weil es keinen direkten Zeugen gab! Wozu Männer fähig sind, hat auf abstoßende Weise vor kurzem der Prozess gegen Dominique Pelicot gezeigt, der schlicht unvorstellbare Grausamkeiten an seiner früheren Frau verübt hat und verüben ließ.

Misstrauen hingegen ist geboten - besser gesagt: eine möglichst intelligente Überprüfung -, um den Tricksern und Täuschern nicht auf den Leim zu gehen. In Australien wurde jüngst beschlossen, dass Jugendliche unter 16 Jahren keine “sozialen Netzwerke” nutzen dürfen.

Das ist ein tiefer Einschnitt in die “Freiheit”, alles zu konsumieren, was der Markt zu bieten hat - aber womöglich eine notwendige Einschränkung, um der völligen Verblödung entgegenzuwirken, vor der selbstverständlich auch Ältere nicht gefeit sind, wenn sie denn auf der Jagd nach Nervenkitzel und Rund-um-die-Uhr-Entertainment jede Vorsicht vernachlässigen und alles anklicken, was bunt ist und sich bewegt.

Und weil man ja nicht so blöd ist, für derartigen Schwachsinn auch noch Geld zu bezahlen, laufen TikTok, YouTube und Co. mit Werbung - und schon hängt man am Haken, ohne es eigentlich zu merken.

Das Gift wird in homöopathischen Dosen verabreicht - hierzulande zumindest. Ich las jüngst den Bericht eines in Deutschland lebenden Russen, der nach mehreren Jahren erstmals wieder seine alte Heimat besuchte und via Istanbul und Sotschi nach Rostov am Don reiste. Erste Gespräche mit seinen Verwandten offenbarten bereits eine gewisse Entfremdung, aber noch mehr befremdete ihn, wie in der Öffentlichkeit Soldaten verherrlicht und um Freiwillige geworben wurde. Er beschloss, einen Selbstversuch zu unternehmen, und verordnete sich, einen ganzen Tag lang das Programm im Staatsfernsehen zu verfolgen, und kam zu dem Schluss, dass das dort gemalte Bild von Russland so gut wie nichts zu tun hatte mit dem, was man auf der Straße erlebt.

So weit soll es, hoffen wir, in Deutschland nicht kommen.

Ein Roman ist eine Fiktion, unterhaltsam und zum Nachdenken anregend, wenn er - wie der Thriller “Views” - gut gemacht ist. Doch er beschreibt nicht unsere Realität, sondern weist nur auf Gefahren hin, die es ernstzunehmen gilt. Wenn am Ende Yasira Saad den Urheber des Videos tot auffindet, der wiederum eine KI programmiert hat, die über seinen Tod hinaus weitere Videos erstellte, die dem Grundgedanken dienen, die Gesellschaft nach Möglichkeit weiter zu spalten, ist man ernüchtert, aber irgendwie auch erleichtert; denn nun könnte der Mensch ja wieder die Regie übernehmen: Man brauchte nur den Strom abzuschalten.

Was die Bombe einmal zerstört hat, wird nicht wieder. Diese Lehre aus Hiroshima und Nagasaki hat die Welt erstaunlicherweise 80 Jahre lang vor weiteren Abwürfen bewahrt. Gelingt es, Künstliche Intelligenz mit Vernunft und Vorsicht zu nutzen?

Das können wir nur hoffen und uns nach Kräften dafür einsetzen, dass wir, die so viel Freiheit genießen wie niemand vor uns, der Wahrheit die Treue halten.

Amen

 

Fürbittengebet:

Guter Gott,

wir haben gelernt, genau hinzusehen, kritisch zu sein, aber uns auch überzeugen zu lassen von  Tatsachen, die wir mit eigenen Augen gesehen haben;

das scheint nun nicht mehr zu gelten: Fälschungen, die nahezu perfekt Realität imitieren - und doch Lüge sind - verunsichern uns, stellen vieles von dem in Frage, woran wir uns im Alltag orientieren.

Das macht uns ratlos, hilflos, traurig und wütend - vor allem dann, wenn der Schwindel aufgeflogen ist, wir den Betrug erkennen und die Absicht merken, uns zu manipulieren.

Zu dem Gefühl der Verunsicherung tritt eine diffuse Ahnung, dass vieles in unserem Leben sich ändern wird, ändern muss - und das verstärkt unser Unbehagen; denn liebe Gewohnheiten mögen wir ungern aufgeben, auch wenn der Verstand einwilligt, beispielsweise Einwanderung zu fördern, weil ja jetzt schon Fachkräfte fehlen und hier viel zu wenig Kinder geboren werden, um die Ruheständler zu versorgen.

Wir erschrecken vor der Gewalt und der blanken Not, die uns global umgibt, aber auch in unserem Wohnumfeld unübersehbar geworden ist.

Wir bitten dich: Stärke unseren Glauben und unsere Widerstandkraft, damit wir nicht Rattenfängern auf den Leim gehen, die uns gegeneinander aufhetzen, indem sie stets das Schlimmste vor Augen malen und aus unserer Angst Profit zu schlagen versuchen.

Lass uns dir treu bleiben und Jesus Christus nachfolgen, unbeirrt den Nächsten lieben und denen, die Hass verbreiten, entschieden entgegentreten.

Lass uns die Schwachen stärken, die Traurigen trösten und mit den Fröhlichen lachen und das Leben feiern!

Amen


Stephan Schaar