Doppelte Nakba

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


Zerstörte Aleppiner Zentralsynagoge, nach dem Pogrom von Aleppo © Wikicommons/Anonymous, License exp. 2004)

Die Hälfte der jüdischen Bevölkerung, die heute in Israel lebt, stammt aus arabischen und anderen islamischen Ländern. Pogrome, Enteignung, Verfolgung und Vertreibung zwangen über 900.000 Juden, nach der Gründung des Staates Israel aus ihren Heimatländern zu fliehen. Von der Weltöffentlichkeit ignoriert und von der UNO bis heute unbeachtet musste die Gesamtheit der Juden arabische und andere islamische Länder verlassen.

Jedes Jahr gedenkt die Bevölkerung Israels am 30. November der Vertreibung der Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran, und mit dem sogenannten „Farhud-Tag“ erinnern am 15. Juni die Vereinten Nationen an das Pogrom von Bagdad, bei dem im Jahr 1941 über 150 Juden ihr Leben verloren und über zwei Jahrtausende jüdischen Lebens in „Babylonien“ zu Ende gegangen sind.

Im Bewusstsein der Deutschen ist Israel eng mit der Geschichte Deutschlands, mit dem Antisemitismus der Nazis und der systematischen Ermordung von Millionen europäischer Juden verbunden. Über die Massenflucht der Juden aus dem Irak, aus Ägypten, Libyen, dem Libanon, Syrien, Jemen, aus ganz Nordafrika, aus dem Iran und Ländern wie Pakistan und der Türkei wird geschwiegen. Ein Großteil von ihnen fand Aufnahme in Israel und wurde dort integriert. Die aus Palästina in die Nachbarländer geflohenen Araber leben hingegen bis heute als „staatenlose Flüchtlinge“ in Lagern, wo sie von der UNO Hilfsorganisation UNRWA versorgt werden.

Die Massenflucht von ca. 800.000 Arabern aus den von Israel beanspruchten Gebieten wird von den Palästinensern mit dem arabischen Wort „Nakba“als Katastrophe bezeichnet. Es wäre an der Zeit, von einer „doppelten Nakba“ zu reden, denn auch in Israel trauern Millionen Menschen um die verlorene Heimat in Ägypten, Syrien, dem Jemen oder anderswo, wo sie seit Generationen Häuser besaßen, Felder bestellten, Geschäfte betrieben, Synagogen und Schulen gebaut hatten und ihre Familienangehörigen begraben sind. In Israel selbst wird über das tragische Kapitel des islamischen Antijudaismus noch wenig gesprochen.

Erst seit 2021 gibt es ein Denkmal zum Gedenken an die Vertreibung und Flucht der Juden aus arabischen Ländern und dem Iran auf der Scherower-Promenade in Jerusalem*. Der Pflichtbesuch unserer Politiker in Yad Vashem sollte demnächst um den Besuch dieses Denkmals ergänzt werden, denn der Weg zu einem gerechten Frieden in Nahost führt über die Anerkennung der „doppelten Nakba“.

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* Seite „Mizrachim“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 4. März 2024, 12:42 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Mizrachim&oldid=242798790 (Abgerufen: 7. März 2024, 15:27 UTC)


Paul Oppenheim